Aug 12, 2012 Pedro May Panorama, Afrika, Marokko, Wallpaper, 0
Steilwandfahren, eine kurzweilige Unterhaltung für Stadtmenschen in einer der dichtbesiedelsten Innenstädte weltweit. Wenn die Stuntmen Youssef und Allal Benzin in ihre Motorräder kippen steigt die Stimmung beim Publikum. Je höher die Motoren im Stand drehen, desto lauter ist der Jubel der Anwesenden. Je langsamer sich die Arena füllt, desto öfter drehen die Jungs mit ihren verlebten Gesichtern vor der Arena auf einer Showbühne ihre Gashebel. Je fortgeschrittener der Abend ist, desto mehr Leute wollen die mutigen Männer sehen. Die meisten kommen direkt nach dem Gebet.
Zügig und mit nur wenig Anlauf fahren die Zweiradartisten in die Steilwand. In nur einer Sekunde kippt das Motorrad samt Fahrer um 90 Grad. Es sieht aus, als würde es Youssef Spaß machen jeden Abend auf einer Tonnenwand im Kreis zu fahren. Nach dem ersten Jubel nimmt er seine Hände vom Lenker und stellt sich sogar mit den Füßen auf den Sitz seines Gefährts. Ein Kunststück jagt das Nächste. Der zweite Fahrer Allal fährt in die Tonne. Allerdings in entgegen gesetzter Richtung. Je mehr das Publikum jubelt, je mehr Blitzlichter der Handykameras aufleuchten, desto höher schrauben sich die Zweiräder. Zwischengas und Klatschen im Takt machen kräftig Stimmung.
Stimmung, die die Bewohner einer Stadt, die aus allen Nähten zu platzen scheint, vom Leben über der Kloake ablenkt. Es ist die Sprache von den Abwasserkanälen, die unter den Steinplatten der Gehwege laufen. Die Innenstadtbezirke von Fes gehören zu jenen Orten mit der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt. Gemeint sind jene Bewohner die hier wohnen weil sie hier hinein geboren wurden. Hinzukommen kommen die illegalen, nicht gemeldeten Einwohner, Händler und Touristen. Alle sind sie Menschen die ihre Notdurft in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen loswerden.
Auch jede Menge Tiere leben dicht neben ihren Besitzern mitten in der Stadt. Hauptsächlich Maultiere und Esel. Nicht zu vergessen sind die lebenden Tiere, die auf dem Fleischsouk zum Verkauf angeboten werden. Jeder Mensch und jedes Tier produziert täglich Unmengen an Abfällen, die großenteils durch die Abwasserkanäle der Stadt in den Fluss Qued Fes fließen. Neuerdings hat man zwar am Stadtrand eine Kläranlage mit deutscher Hilfe gebaut, aber diese reicht bei weitem nicht aus, um die Stadt dauerhaft zu entlasten. Immerhin leben ca. 60.000 Menschen auf einem Quadratkilometer in der Innenstadt von Fes!
Der Qued Bou Khrareb (“Fluss der Abwasser”) fließt mitten durch die Medina (Altstadt) von Fes. In den sechziger Jahren wurde dieser teilweise mit großen Stein- und Betonplatten abgedeckt, die den Bodenbelag für einige Fußwege bilden.
Das Gassenlabyrinth der Medina von Fes, durch das sich die Mausesel mit ihren Lastenanhängern quälen ist überwältigend. Die Medina von Fes ist eine der authentischsten in ganz Nordafrika. Sie ist eine sehr fremde Welt. Sie ist kein Kino, nein sie ist Realität. Man kann sie riechen, hören, schmecken und fühlen.
Insbesondere in der Gerberei hat man eine gute Möglichkeit hinter die Kulissen Marokkos zu blicken. Wer auf die bunten Bottiche blickt wird schnell vom Farbenspiel beeindruckt sein. Gleichzeitig wird aber auch deutlich wie stark man an den Traditionen festhält. Mit aller Macht scheint man daran festzuhalten, den Beruf des Vaters auf den Sohn zu übertragen. Trotz Maschinen wird das Leder so bearbeitet wie es schon der Großvater getan hat. Leider ist der Job als Gerber immer noch genauso ungesund wie früher. Für den Arbeiter als auch für die Umwelt.
Die Männer stehen in Kalk- und Schwefelbädern, beizen und pickeln die Tierhäute bis sich diese zu Schuhen und Handtaschen verabeiten lassen. Die Füße und Hände der Gerber haben die gleichen Farben wie die Pflanzenpigmente mit denen das Leder eingefärbt wird. Nicht umsonst hat man die Gerbereien direkt neben den Abwasserfluss Qued Bou Khrareb gebaut.
Trotz der Tatsache, dass man in den schmalen Gassen immer wieder auf europäische Touristen trifft, scheint die Welt in der Medina im Mittelalter stehen geblieben zu sein. Schon alleine deshalb, weil es keine Autos gibt und weil hier der Handel so abläuft wie man es aus den historischen Filmen kennt. Leider ist aber auch Kinderarbeit kein Fremdwort. Viele der Bewohner sind sehr arm, können nicht lesen und schreiben.
Wer Fez besucht, der sollte sich über die islamischen Kunstwerke wie Moscheen und Koranschulen freuen. Fotografen verbringen viel Zeit damit, das Lichtspiel am Platz der Gerber einzufangen. Die Stimmung der Stadt ist einzigartig. Anstrengend und faszinierend zugleich. Es wird sehr schwer sein, diese Stadt als Fremder zu verstehen. Aber wenn man mit den durchaus humorvollen Händlern ins Debattieren kommt, sollte keinesfalls vergessen werden, dass hinter jedem Markschreier eine große Familie steht, die von dem Einkommen des Einzelnen leben müssen. Nur wenige können sich die schicken Wohnungen am Stadtrand leisten. Schon gar nicht, wenn man nicht in die Mittel- oder Oberschicht hineingeboren wurde.
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