Jun 05, 2010 Pedro May Asien, China, 0
Mao Tsetung im Restaurant “Rote Sonne” in Shenyang – Gestorben aber nie Tod gewesen.
Beim bloßen Abklappern von Sehenswürdigkeiten in China kann der Eindruck entstehen, dass es sich bei dem Trubel um den 1976 verstorbenen Mao Tsetung um ein geschicktes Marketingtool der Tourismusindustrie handelt. Etwa um einen Hype. Mao Tsetung (auch Zedong geschrieben), der „Große Vorsitzende“ der kommunistischen Partei des letzten Jahrhunderts ist immer und überall abgebildet wo Touristen Souvenirs jagen. Auf Armbanduhren die von Straßenhändlern auf dem Platz des Himmlischen Friedens angeboten werden, auf dem gigantischen Gemälde über dem Eingangstor (Mittagstor im Süden) zum Kaiserpalast in Peking.
Der Personenkult um die große Galionsfigur Chinas kennt keine Grenzen. Schon gar nicht die des eigenen Todes. Mao Zedong ist gestorben, aber er ist nicht Tod. Sein Erbe, die Gründung der Volksrepublik China (1949) und die damit verbundene skrupellose Industrialisierung lässt ihn Weiterleben. Das Idol mit dem breiten Bubengesicht lächelt immer noch von allen aktuellen Banknoten und wird besonders von Älteren (40jährigen) auf diversen Festen- und Feierlichkeiten singend geehrt.
Jüngere blicken wie überall auf der Welt nach vorn und kennen Mao nur aus den Geschichtsbüchern und den heldenhaften Erzählungen ihrer Eltern. Damit die Erinnerung nicht abreist, sollen mehrere Kulturzentren mit Informationen zu Mao entstehen. Das Heimatdorf Shaoshan erfreut sich stets wachsender Übernachtungszahlen, die Besucherschlange vor dem Mausoleum auf dem Tiananmen Platz (Platz des Himmlischen Friedens) ist eine der längsten Menschenschlange mit zivilem Hintergrund. In der Hauptreisezeit im Mai gleicht sie einer Essenausgabe in einem Flüchtlingscamp in Afrika. Das Idol der proletarischen Kulturrevolution (1966 – 1976) nährt die Geister der kommunistischen Partei die heute die Macht des Landes inne hält. Ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen wohlgemerkt!
Mao Tsetung, das Idol der Massen lebt. Die Gründe dafür lassen sich im Kommunistenpop und im eisernen, erfolgreichen Industriealisierungsprozess der Neuzeit finden.
Mao versteht es sehr gut einen Kult um seine Person zu manifestieren. Eine bis in die heutige Zeit gesungene Mao-Popmusik begleitet militärische als auch zivile Taten. Grafische Darstellungen seiner eigenen Person zeigen einen stählernen, unbesiegbaren Leader der für das Volk wie eine aufgehende Sonne wirken soll. Mao schafft es gottähnliche Züge anzunehmen. Eine neue Religion begleitet den Arbeiter- und Bauernstaat beim Schaffen einer Industriegesellschaft: Der Maoismus. Mao Popmusik steht Gospelgesängen in der christlichen Kirche gleich. Ein Ohrenwurm jagt den nächsten.
In Shenyang im Restaurant der “aufgehenden Sonne” wird heutzutage z. B. allabendlich Kommunisten Pop vom feinsten zelebiert. Die Lieder und der Takt lassen Leib und Seele vibrieren. Der Maosound ist ergreifend, die alltägliche Show beeindruckend. Besonders beeindruckend ist auch die Tatsache, dass selbst 35 Jahre nach Maos Tod die Besucher die Lieder auswendig singen. Mao ist tot – aber der Maoismus lebt.
Als der Mann der ewigen Revolution 1949 die Macht der Kommunistischen Partei übernimmt setzt er den Entschluss aus dem Agrarland China eine Industrienation zu machen in die Tat um. 1958 prägt er den Begriff „Großer Sprung nach vorn“. Mao will, dass China noch zu seinen Lebzeiten in die Reihe der Supermächte aufschließt.
Den Schlüssel dafür sieht er in der Verstaatlichung der Landwirtschaft und in der Stahlproduktion. Ein Industriealisierungsprozess in Rekordzeit wird realisiert. Er treibt die Stahlproduktion mit allem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln an. Die von ihm geforderte klassenlose Gesellschaft sammelt nützliche Gebrauchsgegenstände wie Kochtöpfe und Küchenbesteck aus Metall und lässt diese in selbstgebastelten Hochöfen einschmelzen. Mit den Stahlkochern wurden Industrieanlagen gebaut die heute größtenteils als Bauruinen bei Reisen übers Land und in den Vorstadtbezirken der glitzernden Boomstädte Chinas ins Auge stechen. Wer sich diesem Speed-Industrialisierungsprozess in den Weg stellte wurde aus dem Weg geräumt. Die Bauern mussten ihre Besitztümer an den Staat abgeben und verbrachten einen großen Teil ihrer Zeit mit Stahlschmelzen. Die Verstaatlichung der landwirtschaftlichen Güter funktionierte nicht reibungslos und effizient genug um die ganze Volkrepublik China zu ernähren. Hunger und unausgesprochene Frustation der Arbeiter und Bauern waren die Folge. Mao und seine Weggefährten regierten mit eisener Hand. Um den Menschen die Hoffnung auf eine Besserung ihrer Lebenssituation nicht zu nehmen, täuschte die kommunistische Kader nicht vorhandene Ernteerfolge vor.
Trotz all den vielen Opfern legt Mao Tsetung mit dem „großen Sprung nach vorn“ den Grundstein Chinas Volkswirtschaft zur Top Five voranzutreiben. 2005 überholte Chinas Volkswirtschaft die Britische und wurde so zur viertgrößten Wirtschaftsmacht (Stand 2009, tendenz steigend) weltweit.
Bauern zu Industriearbeitern zu machen reichte aber nicht aus um aus China einen politischen Leader zu machen. Mit dem Ende des kalten Krieges 1989 schien auch in China die Zeit der Privatisierung angelaufen zu sein. Seit dem geht es in China vielerorts ums Geldverdienen. “Werdet reich” lautet der Slogan der aktuellen Regierung.
Für große Kritik und Vergangenheitsbewältigung scheint man in den großen Boom-Metropolen keine Zeit zu haben. Wer was zu sagen hat will reich werden und nicht die Vergangenheit kritisieren. Eine Vergangenheitsbewältigung nach europäischem Muster ist bislang selten zu erkennen. Auf Grund der vom westlichen Einfluss losgelösten geistigen Entwicklung des Volkes ist Kritikbereitschaft und Kritikfähigkeit eine noch sehr neumoderne Haltung der geistigen Elite Chinas. Die von Studenten öffentlich ausgetragene Kritik am Regime endete in einem Massaker das 1989 am Platz des Himmlischen Friedens in Peking mehr als 1000 Demonstranten das Leben kostete. Solche massiven Menschenrechtsverletzungen werden die Bevölkerung noch lange davon abschrecken sich öffentlich kritisch zu politischen Entscheidungen zu äußern.
Trotz all dem findet zur Zeit in China der größte Privatisierungsprozess statt, den es auf der Welt je gegeben hat. Rein ökonomisch gesehen mit ungebremstem und beispiellosem Erfolg. China ist eine Supermacht geworden, die nach vorne blicken will und keinen Raum für eine öffentliche Kritik der eigenen Vergangenheit schafft.
Ähnlich wie im Westen kämpft man vielmehr mit der Umweltverschmutzung bedingt durch die gigantischen Industrieparks im ganzen Land. Abholzungen führen zum Beispiel dazu, dass die Wüste immer näher an Peking heran wächst. Mehr Privatautos durch mehr Wohlstand führen zu einer enormen Stau- und Abgasbelastung in den Innenstädten. Industrieanlagen haben Probleme bei der Abwasser- und Abgasreinigung. Deshalb ist es besonders positiv, dass sich immer mehr westliche Firmen in den Industrieparks der Großstädte ansiedeln. Der westliche Standard bezüglich Arbeitssicherheit und Umweltschutz wirft einen mittlerweile schon sichtbaren Schatten auf die einheimischen Industriezweige.
Radiobeitrag Mao-Pop in Peking
www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio44332.html
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